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Kolumne ABO

Wandern ist Publizieren

11.04.2025

Vor einigen Wochen hatte ich ein eher ungewöhnliches Wandererlebnis und damit eine neue Erkenntnis. Das kam so: Ich habe an der Kunsthochschule eine Projektwoche mitorganisiert, und am Ende dieser Woche haben wir uns mitten in der Nacht versammelt und sind gemeinsam durch die Stadt gewandert. Als Gruppe konnten wir uns breit machen und die leeren Strassen einnehmen – mir und vielen anderen Menschen steht das normalerweise nicht zu. Die nächtliche Stadt ist mir in der Regel zu gefährlich, aber in diesem Kontext hat sich der gesamte Raum auf einmal verwandelt und wir konnten ihn neu besetzen.

Es gibt ein künstlerisches Konzept, das heisst «Public Fiction». Dort geht es um die Frage, wie Fiktion als Mittel zur Konstruktion von öffentlichen Wahrnehmungen genutzt werden kann. Das klingt jetzt recht wild, aber schliesslich ist beispielsweise auch der Wert von Geld die kollektive Einigung auf eine Fiktion. In der Öffentlichkeit gibt es bekanntlich Regeln, wie wir uns zu verhalten haben. Dazu gehört auch, in welche Kreise wir gehören und wo sich diese Kreise überschneiden. Wie und wann wir uns wohlfühlen. Wo wir Zugang erhalten und wo nicht.

In dieser Nacht am Ende der Projektwoche habe ich wieder gemerkt: Zum Glück wandern wir. Wandern ist auch eine subversive Methode, sich die Öffentlichkeit anzueignen und sich langsam, aber stetig Zugang zu verschaffen. Zugang zu unterschiedlichen Öffentlichkeiten. Seit meinem Studium beschäftige ich mich immer wieder mit der Praxis des Publizierens – und auch damit, was es heisst, in der Öffentlichkeit zu publizieren. Die Künstlerin und Forscherin Eva Weinmayr macht darauf aufmerksam, dass Publizieren, also Öffentlich-Machen, nicht unbedingt die Festschreibung von Wissen in ein Objekt sein muss, sondern auch ein Prozess bleiben kann. Ein Gespräch, ein Spaziergang vielleicht, eine kleine Bewegung. Genau das passiert auch beim Wandern. Ich positioniere meinen Körper in der Öffentlichkeit, hinterlasse Spuren. Und publiziere.

Über die Autorin und Illustratorin

Autorin: Ava Slappnig hat Germanistik, Gender Studies und Kulturpublizistik studiert. Sie arbeitet als Aufsicht im Kunstmuseum Bern und als Journalistin im Kulturbereich. Neben den offiziellen Wanderwegen erkundet sie auch mal Diskurse, Ideen und gesellschaftliche Phänomene.

Illustratorin: Zu jeder Kolumne gestaltet die junge visuelle Gestalterin Leonie Jucker aus Bern eine llustration.

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