Ich gehe über das nur halbwegs geräumte Trottoir dem Büro entgegen – im Wissen, dass mein Sohn jetzt in der Schule sitzt. Nach einer stündigen Winterwanderung, die wir heute Morgen gemeinsam gemacht haben, werde ich bald am Schreibtisch sitzen, eine warme Teetasse in der Hand.
Rückblende. Zum Glück habe ich meinen Wecker etwas früher gestellt, damit ich heute Morgen genug Zeit habe zu meditieren. Denn etwas Gelassenheit, nein, sogar viel Gelassenheit, kann ich gut gebrauchen. Da mein zehnjähriger Sohn jeden Morgen mit dem Bus zur Schule fährt – nur zehn Minuten sind es normalerweise –, checke ich also schon sehr früh sämtliche Verbindungen, die in Frage kommen. Der allmorgendliche Bus hat mindestens 40 Minuten Verspätung. Der Bus, der über einen Umweg zur Schule fährt, fällt ganz aus. Und über jenen Bus, den wir als dritte Möglichkeit unterwegs ein Stück nehmen könnten, gibt es in der öV-App keine verlässlichen Angaben. Was jetzt?
Ich bin hin- und hergerissen, und wecke erst mal den Sohn. «Guten Morgen! Es hat viel geschneit in der Nacht. Zieh dich gut an, wir müssen heute etwas früher los, die Busse fahren nicht», sage ich ihm. «Hmmm», grummelt er in seinem Bett. Nichtsdestotrotz steht er fünf Minuten später angezogen in der Küche und will Frühstück. Wunderbar.
Eine halbe Stunde später gehen wir los. Welchen Weg wählen wir? Nehmen wir etwas längere Strecke, wo wir die Chance haben, zwischendurch in den Bus einzusteigen, so er denn fahren würde? Oder nehmen wir einfach die schnellstmögliche Wanderstrecke, die uns der Routeneditor angegeben hat? Schwieriger Entscheid, so frage ich den Sohn. Er ist erstaunlich realistisch und wählt das Wandern.
So ziehen wir im knietiefen Schnee durchs Quartier, die ersten Schneebälle fliegen bald. Viele jüngere Schulkinder kommen uns entgegen, alle dick eingepackt, die Kappe tief in die Stirn gezogen. Die Aussicht von hier ist umwerfend, weit in der Ferne leuchtet der Jurabogen in der Morgensonne. Die Bäume sind frisch verschneit – eine wunderbare Winterwanderung ist das. Doch der Weg zieht sich, die Motivation meines Sohnes schwankt. Wir kicken Eisblöcke vor uns hin. So läuft er immer weiter.
Wir nehmen uns Zeit für den Weg. Bereits als wir starteten, habe ich den Lehrerinnen und meinem Chef Mitteilungen geschickt: «Wir kommen. Aber es wird später. Wie spät, weiss nur der Schnee.» Nun überholt uns plötzlich doch noch ein Bus. Wir beginnen zu sprinten, doch vergebens, müssen wir schon nach einigen Metern feststellen, als wir die Rücklichter verschwinden sehen. Es geht zu Fuss weiter.
Bald sind wir im Dorfzentrum angekommen. In letzter Sekunde hatte ich beim Rausgehen heute Morgen noch das Abstimmungskuvert in den Rucksack gesteckt. Nun kann ich es bei der Gemeinde in den Briefkasten werfen. Wenigstens das ist erledigt.
Nun sind es noch fünf Minuten bis zur Schule, ich verabschiede mich von meinem Sohn und mache mich auf den Weg ins Büro. Wir sind eine ganze Kolonne von Menschen, die nun stadtwärts auf dem Trottoir gehen. Die Autos schleichen neben uns vorbei. Busse stehen am Strassenrand, blockiert, die gelben Warnblinker leuchten regelmässig. Nicht weit vom Büro entfernt steht ein Tram mitten auf der Strasse, blockiert vom Schnee, die Scheiben sind mit Schnee bedeckt – es steht wohl seit gestern Abend hier.
Ich denke zufrieden zurück an meine sechs Kilometer lange Winterwanderung. Ein guter Tagesanfang. Und ich habe schon viel gesehen: Den alten Mann, der sich in Crocs durch die Schneehaufen kämpfte. Den jungen Mann, der seine Skis und Skischuhe an seinem Rennrad festgezurrt und sich mutig in den Morgenverkehr gestürzt hat. Oder die junge Mutter, die den Veloanhänger mit ihren zwei Kindern mühevoll durch den Schnee gestossen und jede Hilfe abgelehnt hat. Besondere Geschichten an einem besonderen Tag.
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