Ist die Höhenangst wirklich weg?

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08.04.2021 • veraalpina

Ist die Höhenangst wirklich weg?

Letztens war ich mit zwei Freunden draussen unterwegs und wir stiessen auf den Petersbodenturm. Nach meiner erfolgreichen Höhenangst-Therapie konnte ich es kaum erwarten, diesen zu bestiegen und oben die Aussicht zu geniessen. Aber mit jedem Schritt auf der Treppe wurden meine Knie weicher. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Jetzt hatte ich die Höhenangst doch auf Nimmerwiedersehen verabschiedet! Oder doch nicht? Ich biss auf die Zähne, kletterte den Turm hoch. Schön langsam. Oben konnte ich dann sogar die Aussicht geniessen. Schon mal besser als gar nichts, oder?

Diese Episode verunsicherte mich allerdings etwas. War das jetzt einfach ein kleiner Systemfehler? Ein Bug im Gehirn? Hatten meine Knie das Memo nicht erhalten, dass wir das mit dem Weichwerden neuerdings sein lassen?

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Der Petersbodenturm mit der hölzernen Wendeltreppe. Bild: Tschubby, Wikipedia, CC BY-SA 3.0

Den süssen Duft der Angstfreiheit hatte ich gerochen. Nun war er fast ganz verflogen. Oh no. Und jetzt? Nachtrauern? Pff, ich doch nicht! Die Erinnerung an diesen Duft war mir nämlich noch sehr präsent. Gespeichert in meinen Gedanken und Emotionen, sozusagen. Ich wusste aus Erfahrung, dass ich angstfrei sein konnte. Ich war es ja schon gewesen! Dies bedeutet, dass ich mein Gehirn austricksen und ihm vorgaukeln konnte, dass dies immer noch so war. Ich aktivierte also bewusst die Erinnerung an den angstfreien Moment. Und das funktionierte dann ganz gut.

Zur Festigung besuchte ich nochmals dieselbe Coachin vom vorherigen Beitrag zum Thema. War das ein Rückschritt? Ich fragte mich (ihr euch sicher auch), ob ich sie jetzt regelmässig zum Händchenhalten brauchen würde…

Ehrlich gesagt, glaube ich das nicht. Klar, einen milden Rückfall wie auf dem Petersbodenturm kann es immer wieder geben. Ich war ja jahrelang darauf getrimmt, Angst vor der Höhe zu haben, so ist das doch eigentlich logisch. Aber: Während der Zeit, in der ich mich intensiv mit der Thematik Angst beschäftigte, habe ich etwas Wichtiges gelernt (und das ist jetzt zum mitschreiben, Leute): Angstfreiheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess, den ich selbst durchlaufen muss. Als stärkstes Werkzeug hat sich für mich persönlich das Verankern der Emotion, die ich in Exposition während der komplett angstfreien Momente verspürte, entpuppt. Das Wissen, dass ich es kann. Das Erinnern, wie es sich anfühlt. Dies „auf Knopfdruck“ herbeiführen zu können, ist für mich der ganze Zauber. Das kann leider niemand anderes für mich übernehmen.

Klar, das klingt nach Arbeit und Auseinandersetzung mit einem Thema, das man easy einfach unter den Teppich kehren könnte. Es ist aber eine Arbeit, die sich lohnt. Die komplett angstfreien Momente werden überwiegen und der Angst selbst werde ich niemals mehr nachtrauern. Dazu habe ich einfach keine Lust. Ich lebe zu gut ohne sie.

Ich hatte eigentlich nicht geplant, dass dieser Beitrag zu einem solchen Selbstoffenbarungstext wird! Dennoch erscheint es mir wichtig, festzuhalten, was ich in diesem Prozess erlebe. In der Hoffnung nämlich, dass andere, die auch genug von der Höhenangst haben, beginnen, sich damit auseinanderzusetzen. Es lohnt sich, wenn man doch die Hängebrücke einfach locker-flockig überqueren kann, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie sich jetzt ein bisschen bewegt. Wenn man die Treppenstufen auf den Turm in freudiger Erwartung der grandiosen Aussicht emporschreitet. Oder wenn man endlich auf den Gipfel angekommen ist und die Mühen der Bergwanderung mit dem geschafften Aufstieg feiern kann, statt Angst zu haben, runter zu schauen. Nicht?

Mein nächstes Projekt ist übrigens, Leuten in meinem Bekanntenkreis zu helfen, die Angst vor Schlangen haben. Ich habe nämlich eine mega liebe, 1.8 Meter lange Boa Constrictor zu Hause… und viele Freunde, die panische Angst vor ihr haben. Wenn ich das mit der Höhenangst packe, können die es auch schaffen, eine Schlange anzufassen.

Stell dir das mal vor: du siehst eine Schlange und hast keine Angst. Gibts!

Titelbild: Raja Läubli

Vera Alpina

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